Demokonzept

Berlin
Anfang 2009, die Gentrifizierung ist im vollen Gange. Die weltweit für ihre
linke Kultur bekannten Bezirke Friedrichshain und Kreuzberg in denen es Anfang
der 90er Jahre noch
  über 100 besetzte
Häuser gab, sind heute nur noch wenige der einst
  z.T hart erkämpften Freiräume übrig
geblieben.

Diese
Bezirke wo in Selbstorganisation mit Mühe und viel Arbeit, Liebe und
Kreativität Lebensräume instand besetzt wurden, sind inzwischen voll mit
durchsanierten Häusern, die für den Großteil der Bevölkerung sowie für
diejenigen, die diese Orte einst vielfältig gestaltet haben, nicht mehr
bezahlbar sind. Dasselbe Bild bietet sich auch in allen anderen
Innenstadtbezirken, wo nur noch wenige bunte Flecken den hochglanzpolierten
Großstadtwahn durchbrechen. Dieser Verdrängungsprozess bedroht nicht nur die
linke, unkommerzielle Subkultur dieser Stadt, sondern betrifft auch besonders
Migrant_innen, sozial schwache Menschen und alle anderen Bevölkerungsgruppen,
die sowieso schon an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden. Durch
steigende Mieten soll ihnen auch in der Stadt der Platz zugewiesen werden, den
sie gesellschaftlich längst haben: weit weg von schillerndem Luxus und all den
Dingen, die das Leben angenehm machen, weit weg von den Orten, an denen sich
das Großstadtleben abspielt, denn diese ach so weltoffene Metropole ist immer
mehr vor allem für die Weltbürger_innen offen, die es sich leisten können.

Zwar sind es
einzelne Investor_innen und Politiker_innen, die diesen Prozess vorantreiben
und uns unsere Häuser und Plätze wegnehmen wollen, doch darf nicht vergessen
werden, dass hinter all dem ein System steckt, das einen Namen hat: der
neoliberale Kapitalismus.

 

Aber warum
sind diese Freiräume überhaupt so erhaltenswert?

Linke
Projekte sind der Versuch, dem gesellschaftlichen Normalzustand einen positiven
Gegenentwurf gegenüber zu stellen.  Sie
sind Orte, an denen Kritik an den Verhältnissen formuliert und alternative
Ideen ausgelebt werden können. Sie sind Orte für  Kreativität, buntes Leben, Träume und
Utopien. Alle Hausprojekte und Wagenplätze vereint trotz ihrer Individualität
ein emanzipatorischer, antifaschistischer, antihierarchischer,
antirassistischer, antisexistischer und antikapitalistischer Anspruch und
bieten diesbezüglich Schutz- und Rückzugsräume. Das kollektive
Zusammenleben  bietet die Möglichkeit,
aus der vorherrschenden Anonymisierung und Vereinzelung heraus zutreten.  Solidarität tritt an Stelle von Konkurrenz
und Ellbogengesellschaft und bietet nicht zuletzt die Möglichkeit, sich politisch
zu organisieren und gemeinsame Interessen, wie z.B. den Kampf gegen die
Gentrifizierung, zu formulieren und gemeinsam zu vertreten.  Durch die Organisiertheit innerhalb der
Projekte und die Koordination mit anderen Projekten bilden sich Netzwerke, die
den Bewohner_innen und Nutzer_innen eine gute Ausgangslage verschaffen, um
tatsächlich politisch handlungsfähig zu sein. 
Für die aktuellen politischen Kämpfe sind sie ein wichtiger Teil der
Infrastruktur, indem sie Orte für Treffen und Veranstaltungen bereitstellen und
Anlaufpunkte sind, um Gleichgesinnte zu treffen und Wissen und Ideen zu teilen.

Linke
Wohn-und Kulturprojekte sind außerdem Träger der unkommerziellen Subkultur
Berlins, die diese Stadt für viele so attraktiv und lebenswert macht. Selbstorganisierte
Freiräume ermöglichen es den Menschen, die Bedingungen, unter denen sie leben
und arbeiten, gleichberechtigt und hierarchiefrei selbst zu bestimmen und somit
das uneingelöste Versprechen der Demokratie tatsächlich einzulösen.  Hausprojekte sind wie Inseln, in denen das
gelebt wird, was viele für unmöglich halten: 
Ein bisschen besseres Leben im Falschen. 

Uns ist
bewusst, dass die Realität in unseren Projekten all diesen schönen Ansprüchen
oft  hinterherhinkt, uns ist aber genauso
bewusst, dass der Versuch, sie Realität werden zu lassen, ein alltäglicher,
zermürbender Kampf ist. Es ist ein Kampf gegen die Dinge, die wir verinnerlicht
haben, um die Zeit, die unsere Projekte brauchen, gegen die Verlockung, unsere
Ideen aufzugeben und den einfachen, angepassten Weg zu gehen – ein Kampf, den
wir oft genug verlieren, der es aber jedes Mal aufs neue Wert ist, ihn zu
führen. 

Dass linke
Freiräume immer mehr oder weniger akut in ihrer Existenz bedroht sind, ist seit
langem ein Normalzustand, den wir alle kennen und an den wir uns alle gewöhnt
haben.  Wie viel Energie diese ständigen
Abwehrkämpfe fressen, wissen die Wenigsten. 
Trotzdem wir immer wieder unsere gegenseitige Solidarität beschwören und
auch durch konkrete gegenseitige Unterstützung in die Tat umsetzten, führt
meistens doch jedes Haus seinen Häuserkampf relativ allein.  Und in all der Existenzangst und dem Stress,
ist es oft schwer, über die akute Bedrohung des eigenen Freiraums
hinauszudenken, obwohl wir theoretisch alle längst begriffen haben, dass der
Kampf um ein Haus der Kampf um alle Häuser ist, und dass der Kampf um unsere
Projekte auch der Kampf gegen die neoliberale Stadtumstrukturierung ist. 

Momentan sind
mehr als 10 dieser Projekte gleichzeitig akut bedroht. Umso mehr ist es jetzt
an der Zeit, die einzelnen Kämpfe zu verbinden und mit vereinten Kräften eine
politische Lösung für alle linken Projekte einzufordern.  Gemeinsam haben wir die Kraft, eine
politische Bewegung anzustoßen, die dem gesellschaftlichen Normalzustand tatsächlich
etwas entgegenzusetzen hat. 

Daher wollen
wir mit einer großen Demo, die von allen bedrohten und möglichst vielen anderen
Projekten gemeinsam organisiert wird, unsere Forderungen kraftvoll auf die
Straße tragen: 

Eine politische Lösung für ALLE Hausprojekte
und Wagenplätze!

Konkrete Lösungen für die akut
bedrohten Projekte jetzt sofort!

Stadtumstrukturierung selbst
gestalten. Berlin bleibt bunt, dreckig, politisch, solidarisch, kreativ,
unkontrollierbar, lebendig, vielfältig, rebellisch und vor allem für alle
bezahlbar. 

 

Wie soll
diese Demo aussehen:

Bei vielen
politisch aktiven Menschen in Berlin herrscht seit geraumer Zeit eine große
Unzufriedenheit mit der bestehenden Demokultur vor.  Einerseits sind Demos, wenn sie kämpferisch
auftreten, mit fast unerträglicher Repression belegt, andererseits sind sie of
langweilig und kraftlos, und das Ziel, eine politische Forderung wirksam in die
Öffentlichkeit zu tragen, scheint kaum erfüllt zu werden.  Des Weiteren ist es oft nur derselbe Kreis
von „üblichen Verdächtigen“, die die Häuserdemos in letzter Zeit besuchen.  Einige Aktivist_innen sind inzwischen dazu
übergegangen, Demos als geeignete Aktionsform komplett in Frage zu stellen und
sich auf andere Aktionsformen zurückzuziehen. 

Auch wir sind
frustriert von der politischen Praxis, die momentan in den Berliner
Häuserkämpfen herrscht, und wir begrüßen jeden Versuch, die Bewegung neu zu
beleben und mit anderen Aktionsformen zu experimentieren. Wir sind jedoch nicht
der Meinung, dass man Demos als Aktionsform komplett aufgeben sollte, sondern
wollen vielmehr versuchen, sie anders zu gestalten.  Denn eins ist klar:  Wir lassen uns unsere Demos nicht
kaputtunterdrücken.  Wir holen uns unsere
Aktionsform zurück und beleben sie neu, damit sie wieder eine politische
Wirkung entfalten kann. 

Schon seit
geraumer Zeit ist es in Berlin nicht mehr möglich, aus Demos heraus direkte
Aktionen zu machen, da diese durch Vorkontrollen, Wanderkessel und permanente
Videoaufzeichnungen zu einem höchst repressiven Raum geworden sind.  Strategien wie der schwarze Block, der durch
Geschlossenheit, Organisiertheit und gleiches Aussehen dazu dienen sollte,
Aktionen aus der Demo heraus möglich zu machen und die Aktivist_innen zu
schützen, sind mehr und mehr zu rein defensiven Konzepten geworden, die ihren
Zweck nicht mehr erfüllen und zudem eine für manche Menschen durch ihren
Abschreckungscharakter fragliche Außenwirkung haben. 

Daher ist es
vielleicht an der Zeit, die Idee, aus der Demo heraus direkte Aktionen zu
machen, vorerst aufzugeben und vielfältige Aktionen räumlich und zeitlich um
die Demo herum anzusiedeln.  Ohne
Wanderkessel und Videoüberwachung dürfte sich dadurch ein aktionistischer
Freiraum eröffnen, der unsere Forderungen mit Kreativität und Nachdruck in das
gesamte Stadtgebiet trägt.  Um diese
Strategie vorzubereiten und es auch von Außerhalb kommenden Aktivist_innen zu
ermöglichen, daran teilzunehmen, wird es einen Tag vor der Demo verschiedenste
Workshops geben.  Natürlich ist es
trotzdem wünschenswert und notwendig, dass sich einige Gruppen langfristiger
auf diesen Tag vorbereiten, aber auch mit einer kurzfristigen Vorbereitung kann
noch einiges auf die Beine gestellt werden.  

Wir
verabschieden uns zwar für diese Demo weitgehend von dem Konzept des schwarzen
Blockes als tragendem Demokonzept, distanzieren uns aber ausdrücklich von
keiner Aktionsform.  Da wir uns als Teil
der WBA-Kampagne verstehen, begrüßen wir natürlich jede Aktion, die mit den
Zielen und Eckpunkten vereinbar ist. 

Die ersten
Reihen dieser Demo wollen wir eher bunt organisieren.  Dennoch wollen wir nicht der üblichen
Spaltung in gute und böse Demonstrant_innen unterliegen, sondern an Strategien
arbeiten, wie verschiedene Formen des Protests & Widerstandes sich positiv
aufeinander beziehen
können. Denn Spaltung kann niemals in unserem Interesse liegen. Nur gemeinsam
sind wir stark genug, unsere Interessen wirkungsvoll zu vertreten.
Die Spaltung von politischen Bewegungen lag schon immer im Interesse
derer, gegen die sie sich wenden.      

Der Demonstrationszug,
wie wir ihn uns vorstellen, ist dann ausschließlich dazu da, die Öffentlichkeit
mit Masse zu beeindrucken, unsere Inhalte darzustellen, durch Flyer die
Passant_innen zu informieren und ein positives Bild der Hausprojekte und
Wagenplätze zu vermitteln.  Dazu sollte
jedes Projekt sein eigenes Konzept entwickeln, in welcher Form ihr Projekt am
besten repräsentiert wird.  Um die Masse
auch wirklich auf die Straße zu bringen, wollen wir bundesweit für diese
Demonstration mobilisieren und versuchen, auch Spektren anzusprechen, die sonst
nicht zu unseren Demos kommen.  Konkret
denken wir dabei besonders an die Masse der Menschen, die die unkommerzielle
Subkultur in unseren Freiräumen nutzen, aber oft darüber hinaus kaum Kontakt zu
den Projekten haben.  Trotzdem wir auf
die Unterstützung anderer als der üblichen Verdächtigen hoffen, weil wir
glauben, dass unser Anliegen auch ihres ist, wollen wir inhaltlich keine
Kompromisse machen.  Eine Zusammenarbeit
mit NGOs und hierarchisch organisierten Gruppen wie attac ist für uns
ausgeschlossen.

Des Weiteren
wurde viel kritisiert, dass die Demonstrant_innen in letzter Zeit in eine zu
passive rolle gerutscht sind.  Oft werden
wenige Parolen gerufen, und wenn sind es meist nur die ersten, organisierteren
Reihen, die tatsächlich laut sind.  Die
Parolen, die gerufen werden, sind of uralt und abgegessen und strahlen so wenig
Authentizität aus.  Einige Aktivist_innen
haben in letzter Zeit bemängelt, dass durch die Musik, die gewöhnlich vom Lauti
gespielt wird, Parolen unterbrochen und damit eine potentiell kraftvollere
Dynamik der Demo gestört wird.  Wir haben
uns daher entschlossen, dass auf dieser Demo gar keine (oder so gut wie keine)
Musik vom Lauti gespielt wird, und dieser nur für Redebeiträge und die
Weitergabe von Informationen genutzt wird. 
Außerdem wollen wir uns neue, passende Parolen ausdenken und diese durch
mehrere Menschen, die sich mit Megaphonen in der Demo befinden und mit Flyern,
auf denen die Parolen stehen, verbreiten. 
Wir wollen die Demo wieder den Demonstrant_innen zurückgeben und eben
nicht durch tolle Musik beeindrucken. 
Wir hoffen, dass die Demo dadurch an Kraft gewinnt und nicht nur
inhaltlich vermittelt, dass wir toll und nett und erhaltenswert sind, sondern
auch, dass wir unsere Forderungen entschlossen und laut auf die Straße bringen
und wir bereit sind, dafür zu kämpfen. Damit diese Demo auch wirklich eine
Chance hat, anders zu werden als sonst, wollen wir während der
Mobilisierungsphase durch Flyer und Infoveranstaltungen das Konzept der Demo
vermitteln.  Insgesamt soll diese Demo
zeigen, dass die Hausprojekte und Wagenplätze zusammenstehen und sich gemeinsam
wehren, und welche Bedeutung sie für diese Stadt haben. 

Umso mehr wir
sind, desto mehr Druck können wir ausüben. 
Deshalb wünschen wir uns, dass möglichst viele Hausprojekte, Gruppen
etc. für diese Demo mobilisieren und/oder den Aufruf unterstützen.

Im Anschluss
an die Demo soll es eine gemeinsame Pressekonferenz geben, damit auch dieser
Weg genutzt wir, um unsere Ideen und Forderungen in die Öffentlichkeit zu
tragen. 

Über
konstruktive Kritik, Diskussion und Anregungen würden wir uns freuen!

 

Das
Vernetzungs-AG der bedrohten Berliner Haus- und Wohnprojekte


 


 

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